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Personal/Hintergrund  

"Tischtennis hat mich geprägt – und ich will Kindern genau das ermöglichen"

Dr. Gaby Kirschner, Leiterin der Kinder- und Jugendakademie des FC Bayern, spricht im BTTV-Talk über das KJA-Konzept, harte Zeiten und Wertschätzung

Dr. Gaby Kirschner spricht über unter anderem über eine harte Anfangszeit der Kinder- und Jugendakademie (Foto: FC Bayern)

Vor mehr als zehn Jahren hat Dr. Gaby Kirschner die Kinder- und Jugendakademie (KJA) Tischtennis des FC Bayern München mit ins Leben gerufen. Die frühere Bundesligaspielerin (VSC Donauwörth) und A-Lizenz-Inhaberin wurde vor mehr als zehn Jahren mehr durch Zufall Jugendleiterin beim Weltverein. Im BTTV-Talk erzählt Kirschner vom Konzept der KJA, der schwierigen Anfangszeit, heutigen Erfolgen und der anspruchsvollen Arbeit mit Anfängern.

Du warst Bundesligaspielerin, Nachwuchsnationalspielerin, bist Inhaberin der A-Lizenz, hast u. a. Volkswirtschaft studiert und in großen Unternehmen gearbeitet. Gibt es etwas, was dich am meisten geprägt hat?
Dr. Gaby Kirschner:
Ganz klar Tischtennis – und zwar Tischtennis in meiner Anfangszeit, also als Kind und Jugendliche. Ich habe es als Kind geliebt, zu trainieren, auf Turniere zu fahren, meine Freunde dort zu treffen. Lehrgänge in den Ferien waren für mich das Größte. Ich habe schnell gemerkt, dass ich ein ganz anderes Leben hatte als meine Klassenkameraden. Und im Sport entstehen andere, manchmal tiefere Freundschaften, weil man so viele gemeinsame Erlebnisse hat. Ich erinnere mich noch gut an Abschlussabende bei Deutschen Meisterschaften – das waren absolute Highlights. Neulich habe ich jemanden wiedergetroffen, der damals mit mir dabei war, und sofort haben wir über diese Abende gesprochen. Auch die Anerkennung von außen spielte eine Rolle – plötzlich sprach mich ein Lehrer an: „Dich kennt man ja aus der Zeitung.“ Das hat natürlich was mit mir gemacht, mir einen Schub gegeben und meine persönliche Entwicklung geprägt. All das will ich auch  den Kindern in der KJA ermöglichen. Ich bin der Auffassung, dass es für Kinder unheimlich wichtig ist, außerhalb der Schule etwas zu haben, wo sie Träume haben, Erfolge, Selbstbewusstsein tanken und wachsen können.

Was motiviert dich an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Kirschner:
Mir geht es darum, Kindern das Gleiche zu ermöglichen, was ich selbst erlebt habe: Erfolg, Freude, Freundschaften, Selbstbewusstsein. Wenn ein Kind Fortschritte macht, Selbstvertrauen gewinnt und Spaß hat – das ist für mich die größte Motivation.

Wie ist das Konzept der KJA eigentlich entstanden?
Kirschner:
Wie so oft im Leben war es der Zufall. Ich war ja, nach Beendigung meiner Karriere, lange Spielerin bei Bayern, dann aber mehr als 10 Jahre komplett raus aus dem Tischtennis. Bei einer Geburtstagsfeier unseres jetzigen Abteilungsleiters Matthias Stein kam spontan die Frage auf, ob ich nicht die Jugendleitung bei Bayern übernehmen wolle, da der aktuelle Jugendleiter aufhört. Ich meinte, dass ich mir das vorstellen kann, fügte aber gleich hinzu: „Aber wenn ich es mache, machen wir es gescheit.“ Ein halbes Jahr später habe ich dem damaligen 3. Präsidenten des FC Bayern das Konzept präsentiert. Er fand es direkt super, es wurde dann dem Gesamtpräsidium vorgestellt und wir bekamen das Go.

"Das war eine harte Zeit"

2014 seid ihr mit der KJA gestartet, habt euch klare Ziele gesetzt, u. a. einer der stärksten Vereine in Breite und Spitze in Deutschland zu sein. Wie fällt deine Bilanz nach elf Jahren aus?
Kirschner:
Am Anfang war es unglaublich zäh. Wir sind mit knapp 20 Kindern gestartet, viele waren totale Anfänger. Ich hatte mir von Anfang an die Halle für fünf Tage á vier Stunden gesichert, aber wir hatten Probleme, die Halle vollzubekommen. Ich erinnere mich gut an Tage, an denen mich die Trainer angerufen haben und meinten, dass kein einziger Spieler da sei. Dann habe ich sie mit unserer BFD’lerin zum Kaffeetrinken geschickt. Die ersten zwei Jahre haben wir wirklich jeden genommen. Es ging nur darum, die Halle vollzukriegen. Eine wirkliche Intensität im Training gab es nicht. Das war eine harte Zeit.

"Ich bewundere jeden, der es schafft"

Gab es Zweifel?
Kirschner:
Ja, es gab Zweifler. Einige in der Abteilung schüttelten den Kopf und konnten nicht nachvollziehen, warum wir so viel Hallenzeit reserviert hatten. Es gab auch Zweifel an unserem Konzept. Wir wollten in fünf Jahren zu den drei besten Vereinen in Bayern und in zehn Jahren zu den drei besten Vereinen in Deutschland zählen. Da waren wir so weit entfernt. Und ich war auch ein bisschen ernüchtert, wie schwer es ist, einem Kind Tischtennis beizubringen - davor hatten wir ja alle noch nie mit totalen Anfängern gearbeitet. Ich respektiere und bewundere wirklich jeden, der das schafft.

Und was passierte dann?
Kirschner:
Nach zwei Jahren wurde es besser, es ging Schritt für Schritt nach oben, erst im Kreis, dann im Bezirk, dann in Südbayern. Corona hat uns nochmal kurz gebremst, aber danach ging es richtig ab, es entstand eine wahnsinnige Dynamik: Bei bayerischen Turnieren sieht man heute sehr viel Rot. Das ist hart erarbeitet. Aber man darf nie nachlassen, sonst geht es sofort wieder in die andere Richtung.

Wie würdest du – abgesehen von angestrebten Erfolgen im Nachwuchsbereich – das Konzept der KJA definieren?
Kirschner:
Wir wollten nie nur einzelne Toptalente rauspicken, sondern immer die ganze Gruppe in den Vordergrund stellen. In anderen Vereinen hat man zum Beispiel nur mit drei, vier Spielern sehr, sehr intensiv gearbeitet – die auch deutsche Spitze wurden. Wir haben den Ansatz verfolgt, möglichst vielen Kindern die Chance zu geben, sehr gute Spieler zu werden. Heute haben wir dadurch einen extrem starken internen Wettbewerb, die Kinder pushen sich gegenseitig. Jeden Freitag ist bei uns „Match-Day“, da geht es richtig ab. Bei Turnieren sind die internen Duelle natürlich sehr hart, aber am Ende bringt dieser harte interne Wettbewerb alle unsere Spieler voran.

Wie seid ihr momentan in der KJA aufgestellt, Anzahl Trainer/Spieler, und was sind eure nächsten Schritte?
Kirschner:
Wir haben derzeit etwa 70 Spieler – das ist die absolute Kapazitätsgrenze, mehr geht nicht. Aktuell ist es völlig verrückt - ich bekomme jede Woche vier, fünf Anfragen, die ich fast alle ablehnen muss. Das fällt mir extrem schwer, weil man immer denkt: Vielleicht ist da ein Kind dabei, das richtig Bock hätte und was werden könnte. Insgesamt haben wir neben unserer Cheftrainerin Csilla Batorfi 10 Trainer, die regelmäßig im Training und Wettkampf im Einsatz sind, hinzu kommt ein Bundesfreiwilliger. Außerdem helfen noch 10 ältere Jugendspieler beim Anfängertraining und Coaching. Wir wollen auch bei Turnieren gewährleisten, dass jedes Kind betreut ist am Tisch. Und was mir sehr wichtig ist, wir beziehen die Eltern stark ein – ohne Eltern, die hinter dem Sport ihrer Kinder stehen und sich selbst einbringen, würde unser Projekt nicht funktionieren. Wir haben einen Elternbeirat, der unsere Feste organisiert und mich auch sonst entlastet und unterstützt, z. B. indem er als Ansprechpartner für neue Eltern dient. Die nächsten Schritte sind, unsere vielen Jugendlichen gut in die Erwachsenenmannschaften zu integrieren und die neuen „Minis“ (etwa 10 Fünf- bis Siebenjährige mit denen wir im letzten Jahr angefangen haben) noch mehr heranzuführen.

"Bayernweit und deutschlandweit erfahren wir sehr viel Anerkennung"

Wenn man Bayern München ist, zieht sicher auch der Name an und ihr habt im Vergleich zu anderen Vereinen andere Voraussetzungen. Gibt es auch gewisse Nachteile?
Kirschner: Nein, Nachteile sehe ich eigentlich keine. Bayern München ist ein toller Verein, weltbekannt, erfolgreich – ich war schon als Kind Bayern-Fan und habe selbst fast zehn Jahre für Bayern gespielt. Natürlich profitieren wir von der finanziellen Unterstützung und haben sehr gute Voraussetzungen. Aber das fließt fast alles in die Kinder. Mein Budget geht zu 85 Prozent ins Personal, also die Trainer. Wir wurden früher immer belächelt, dass wir keine Startgebühren erstatten, das zahlen bei uns die Eltern. So bleibt das Geld da, wo es wirklich sinnvoll ist: im Training mit den Kindern.

Spürt ihr manchmal Neid von anderen Vereinen oder ist eher Wertschätzung vorhanden?
Kirschner: Anfangs war das schon ein Thema. Wir waren noch gar nicht gut, und trotzdem hieß es: „Ihr kauft nur Spieler, ihr seid arrogant, eure Kinder benehmen sich nicht.“ Das war furchtbar, weil wir z. B. wirklich sehr darauf geachtet haben, dass sich unsere Kinder gut benehmen. Mit der Zeit hat sich das gelegt. Heute haben wir im Bezirk Oberbayern-Mitte ein sehr gutes Miteinander, viele Vereine leisten hier ebenfalls tolle Jugendarbeit. Und bayernweit oder deutschlandweit erfahren wir sehr viel Anerkennung. Oft kommen bei Deutschen Mannschaftsmeisterschaften Trainer oder Ausrichter zu mir und sagen: „Super, dass ein Verein wie Bayern München so viel für den Nachwuchs tut.“ Das ist ein schönes Gefühl.

"Wir nehmen nur Kinder, die mindestens dreimal pro Woche trainieren."

Wenn Kinder bei euch in der KJA trainieren, worauf kommt es euch als Trainerteam vor allem an?
Kirschner:
Erstens: Wir nehmen nur Kinder, die mindestens dreimal pro Woche trainieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dreimal Training ist wie zweieinhalb Mal, weil es immer mal Absagen wegen Krankheit, Schule, etc. gibt. Bei zweimal wäre es also nur anderthalb Mal Training, das ist viel zu wenig um Tischtennis wirklich zu lernen. Tischtennis ist so komplex, dass weniger einfach nicht reicht. Zweitens: Die Kinder müssen motiviert sein und den Sport lieben (lernen). Wenn man sie „zum Jagen tragen muss“, wird das nichts. Drittens: Disziplin und Regeln. In großen Gruppen braucht es klare Regeln, sonst funktioniert es nicht. Wir achten darauf, dass die Kinder lernen, in der Gruppe zu trainieren, Rücksicht auf den Partner zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist nicht immer einfach, aber absolut entscheidend.

Wenn du jungen Trainern einen Rat geben würdest, die gerade mit der Nachwuchsarbeit beginnen – was wäre das?
Kirschner:
Wichtig für einen jungen Trainer sind Geduld und Durchhaltevermögen. Tischtennis ist extrem schwierig zu lernen, besonders für kleine Kinder. Es ist sowohl koordinativ als auch technisch unheimlich anspruchsvoll. Es dauert lange, bis die Kinder ein paar Mal hin und her spielen können. Man braucht sehr viel Geduld – und darf nicht erwarten, dass nach wenigen Wochen große Fortschritte zu sehen sind. Wer dranbleibt, wer die Kinder motiviert und nicht aufgibt, der wird am Ende belohnt.

Ihr spielt jetzt mit den ersten Mannschaften in der Regionalliga. Träumt ihr nicht auch mal von einem Erstligisten Bayern?
Kirschner:
Bayern München sagt ganz klar, dass außerhalb von Fußball und Basketball keine Spieler bezahlt werden. Insofern ist für uns ein Engagement in der ersten Liga nicht möglich. Unser Ziel ist es deshalb, mit den bei uns ausgebildeten Spielern so hoch wie möglich zu spielen. Wenn wir tatsächlich mal einen Spieler herausbringen, der Erstliga-Niveau hat, dann wären wir total happy.

Gaby, vielen Dank für das Gespräch!

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