Der Traum von einer Medaille bei einer Europameisterschaft ist für Sabine Winter (TSV Schwabhausen), die in der Weltrangliste um sechs Plätze auf Rang 42 nach vorne rückte, wahr geworden. Die 29-jährige gebürtige Seefelderin holte sich die Bronzemedaille. Auf der Tribüne der Rudi-Sedlmayer-Halle fieberten ihre Eltern und ihr Bruder mit.
Mit etwas Distanz blickt sie auf „ihre“ Heim-EM zurück. Das verlorene Halbfinale gegen die spätere Europameisterin Sofia Polcanova war eine knappe Geschichte. „Woran es am Ende genau lag“, grübelt Winter kurz, „ich weiß es nicht.“ Was für sie sicher ist: „Die Nerven hatten wir beide im Griff, da auch in den wichtigen Phasen des Spiels noch viele tolle Ballwechsel dabei waren und keiner von uns wirklich einfache, unnötige Fehler gemacht hat.“ Sie kann sich also nichts vorwerfen, Nuancen haben entschieden. „Ich denke, es war ein großer Kampf von beiden Seiten. Polcanova war vor allem in der ersten Hälfte des Spiels besser. Ich hatte in der zweiten ein wenig Oberwasser. Wir haben beide alles gegeben, es war vor allem ab dem 1:3 ein hochklassiges Spiel mit guten Ballwechseln. Ich denke bei dieser Art Spiele auf Augenhöhe kann es auf die eine oder andere Seite kippen. Diesmal hat Polcanova gewonnen. In der Runde der letzten 32 war ich hingegen die Glücklichere.“
„Ziel ausgerechnet in München erreicht“
Stichwort Sechszehntelfinale: Hier lag Winter auch in Rückstand und gewann nach sieben Sätzen. Als es geschafft war, legte sie erstmal kurz den Schläger auf ihren Kopf. „Ich denke das kam einfach aus purer Erleichterung“, sagt sie zu dieser Szene. „Ich stand mit dem Rücken zur Wand, habe bis zum Schluss gekämpft und es hat sich ausgezahlt. Hätte ich dieses Spiel nicht mehr gedreht, wäre die EM eine verkorkste gewesen und ich hätte all das nicht mehr erleben dürfen.“
Wichtig war also, eine Runde weitergekommen zu sein, um schließlich Bronze um den Hals hängen zu haben. „Natürlich ist es schade, dass ich nicht im Finale stand. Die Chance war allemal vorhanden. Manchmal sind es im Tischtennis nur Kleinigkeiten, die nicht immer nur mit Können zu tun haben. Ich habe mein Ziel, irgendwann eine EM-Medaille im Einzel zu gewinnen ausgerechnet in München erreicht. Das war ein Traum von mir! Ich bin absolut dankbar für dieses Erlebnis und freue mich sehr über Bronze.“
„War eine einmalige Erfahrung für mich“
Die Zuschauerkulisse und speziell die Anfeuerung hat sie in allen Spielen gepusht. „Die Atmosphäre habe ich natürlich wahrgenommen. Diese trägt dazu bei, dass die Woche ein absolut tolles Erlebnis und eine einmalige Erfahrung für mich war. Ich denke es gibt zwei Szenarien, die so viele Zuschauer bewirken können. Zum einen scheint sich der Druck zu erhöhen und wenn es nicht läuft, ist es nicht gerade ein schönes Gefühl, sondern einfach mal schnell im Erdboden versinken wäre auch okay“, will sich Winter gar nicht ausmalen, wenn es auch im Einzel schief gegangen wäre.
„Publikum hätte mich fast noch zum Sieg gepusht“
„Im Halbfinale hat mich dieses Publikum erst ein wenig überfordert. Ich war etwas abgelenkt und bei 0:2 dachte ich nur: ‚Oh man Sabine, du wolltest dieses Halbfinale genießen, also fang auch endlich an zu Spielen und gutes Tischtennis zu zeigen. Damit es Spaß macht zu spielen, die Stimmung gut wird und die Zuschauer auch auf ihre Kosten kommen.‘ Ich habe mich dann reingebissen und plötzlich lief es. Ich habe gut gespielt, wir hatten tolle Ballwechsel und so wie das Publikum mitgegangen ist, hat es mich einfach beflügelt“, erklärt die 29-Jährige im Nachgang. „Es war toll, vor so einer Kulisse zu spielen, ich habe angefangen jeden Ballwechsel zu genießen, habe Satz für Satz gespielt in der Hoffnung, dass ich vor ausverkaufter Hallen och einen weiteren spielen darf. Schafft man es so weit, dann kitzelt das Publikum sicher noch das eine oder andere Prozent aus einem heraus. Es hätte mich fast noch zum Sieg gepusht, am Ende hat es aber leider ganz knapp nicht gereicht. Spaß hat das Spiel aber trotzdem gemacht.“
„Doppel-Niederlage war sehr bitter“
Insgesamt zieht Winter ein positives Fazit, auch wenn es in den anderen beiden Wettbewerben nicht wie gewünscht lief. „Im Doppel und Mixed waren die Resultate leider nicht wie erhofft. Obwohl ich das Gefühl hatte, solide gespielt zu haben, kam es vor allem im Doppel zu einer eher unerwarteten Niederlage im Viertelfinale“, blickt sie zurück. „Die war in dem Moment sehr bitter, denn im Doppel hatten wir uns viel vorgenommen. Dass das am Ende im Einzel mit einer Medaille geklappt hat, rettet für mich nicht nur die EM, sondern macht sie für mich zu einem der Top-Highlights meiner Karriere. Im Einzel ist es mein größter Erfolg, den ich je hatte. Das dies in München in meiner Heimat bei einem Multisport-Event passiert ist, lässt die Medaille irgendwie noch mehr strahlen.“
„Geschlafen habe ich danach sehr wenig“
Nach dem Interviewmarathon ging es dann aufgewühlt irgendwann am Samstagabend ins Bett. „Geschlafen habe ich danach sehr wenig. Da gingen mir einfach noch zu viele Gedanken durch den Kopf. Das ist aber auch normal nach solch einer Woche“, räumt Winter ein, die sich danach etwas Ruhe gegönnt hat. „Ich bleibe jetzt noch einige Tage in der Heimat und tanke Energie. Dann geht es wieder zurück ins Training und die Vorbereitung auf das erste Saisonmatch mit dem TSV Schwabhausen steht an. Ende September folgt die WM.“
Vater lobt mentale Stärke seiner Tochter
„Wie öfters in den vergangenen Jahren, habe ich immer wieder gedacht, wie mental stark meine Tochter Sabine sein muss, um mit einem solchen Druck umzugehen“, staunte ihr Vater Mark nicht schlecht, dass sie trotz der vielen Zuschauer und der eigenen Erwartungshaltung nie die Nerven verlor. „Sabine lag zu Beginn der Spiele mehrmals hinten und konnte nicht immer gleich ihre beste Leistung abrufen. Ich wusste aber, dass sie nie aufhören wird, alles zu geben und zu versuchen, egal wie groß der Rückstand in einem Satz ist. Natürlich habe ich gehofft, dass es reichen wird“, war auch ihr Vater erleichtert, als der Halbfinaleinzug und damit eine Medaille sicher war.
„Konnte laut schreien und niemand hat mich gehört“
Vom Drumherum war Mark Winter begeistert. „Es war eine tolle Atmosphäre. So etwa habe ich noch nie erlebt in Deutschland. Außer vielleicht bei der Team WM in Dortmund 2011“, erinnert sich Winter, der selbst sehr aufgeregt war. Die Anfeuerung der Zuschauer war für ihn sehr gut. „Ich fand es toll, dass ich so laut schreien konnte und niemand mich gehört hat“, schmunzelt Winter. „So gut und laut war die Stimmung in die Halle.“
Als Vater fühlt er stets mit seiner Tochter mit: „In Grunde genommen ist es ein Privileg, die Höhen und Tiefen von Sabines Karriere miterleben zu dürfen. Wir freuen uns mit unserer Tochter und leiden mit ihr. Ich habe mich deshalb riesig gefreut, dass Sabine ihren Traum von einer Einzelmedaille bei einer EM verwirklichen konnte.“